Manchmal muss man sich die Augen reiben! Da ist auf einem Vortrag von einer Substanz N-Chlortaurin (NCT, auf englisch N-Chlorotaurine) die Rede, die folgende Eigenschaften besitzen soll:
- gute Verträglichkeit bei Inhalation (ausreichend?) hoher Dosierung
- starke Wirkung im Reagenzglas im künstlichen Schleim gegen Bakterien / Pilze / Viren / Einzeller innerhalb von Minuten
- keine Resistenzentwicklung
Recherchen
Am 02.03.2015 wurden Mittel für folgendes Studienprogramm bewilligt:
„KLI 459 Programm Klinische Forschung: Verträglichkeit von N-Chlortaurin bei inhalativer Anwendung – eine Phase I klinische Studie.
(Projektleiter: ao.Univ.-Prof. Dr. Markus Nagl , Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie)N-Chlortaurin (NCT) ist ein körpereigenes Antiseptikum, das von weißen Blutkörperchen u.a. zur Abwehr von Krankheitserregern gebildet wird. Die Herstellung des Natriumsalzes in Pharmaqualität wurde an der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie von Waldemar Gottardi und Markus Nagl etabliert, dessen gute Wirksam- und Verträglichkeit bei banalen und schweren Infektionen verschiedenster Körpergegenden nachgewiesen. Die inhalative Anwendung würde aufgrund des breiten Wirkungsspektrums (Bakterien, Viren, Pilze, Einzeller) ohne Resistenzentwicklung viele Anwendungsmöglichkeiten bieten. In der genehmigten Phase 1 Studie soll die Verträglichkeit von NCT – bisher im Tiermodell und einer Pilotstudie getestet – im Vergleich zu physiologischer Kochsalzlösung (je zwölf gesunde Probanden) bei täglicher zehnminütiger Inhalation über fünf Tage bestätigt werden. Die Inhalationen und Kontrolluntersuchungen werden an den Studienzentren Natters und Vöcklabruck (Herbert Jamnig bzw. Bernhard Baumgartner mit Mitarbeitern) durchgeführt. Speziallaboruntersuchungen erfolgen an der Univ.-Klinik für Pädiatrie, statistische Beratung am Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie, Monitoring durch das Koordinierungszentrum für Klinische Studien. „Die Verfügbarkeit eines sehr gut verträglichen und wirksamen inhalativen Antiseptikums mit antiinflammatorischen Eigenschaften wäre ein großer therapeutischer Fortschritt, vor allem bei chronischen Lungenerkrankungen wie COPD oder zystischer Fibrose“, so Prof. Nagl.“
Im September 2017 ergeht folgender Bericht darüber (Hervorhebungen durch uns):
„Die Verträglichkeit von inhalativ verabreichtem N-Chlortaurin (NCT) am Menschen wurde in dieser klinischen Phase I Studie bewiesen.
NCT ist ein gegen Mikroorganismen wirksames Molekül, das von weißen Blutkörperchen während Infektionen gebildet wird, um Bakterien, Pilze und Viren zu bekämpfen. Es kann auch chemisch synthetisiert und lokal zur Therapie von Infektionen oder Abszessen angewendet werden. Im Gegensatz zu Antibiotika entsteht keine Resistenz gegen NCT, und multiresistente Mikroorganismen können damit behandelt werden. Als körpereigene, mild oxidierend wirksame Substanz wird NCT von menschlichem Gewebe verschiedenster, auch sehr empfindlicher Köpergegenden sehr gut vertragen.
Methoden: Diese Studie wurde doppelblind mit einer parallelen Testgruppe (1% NCT) und einer Kontrollgruppe (0.9% Kochsalz als Placebo) durchgeführt. Zwei Zentren waren beteiligt, Natters und Vöcklabruck. Gesunde erwachsene Freiwillige wurden eingeschlossen, 12 in jedem Zentrum. 12 wurden mit NCT behandelt, 12 mit Kochsalz, genau die Hälfte in jedem Zentrum. Eine Einzeldosis von 1.2 ml wurde täglich über 10 min an 5 aufeinanderfolgenden Tagen mit dem Akita-Jet Vernebler inhaliert.
Ergebnisse: Alle eingeschlossenen 15 Frauen und 9 Männer beendeten die Behandlung und die Kontrolluntersuchungen 1 Woche und 3 Monate nach der Behandlung gemäß Studienprotokoll. Die Lungenfunktion wurde nicht beeinträchtigt und blieb konstant. Dasselbe galt für alle anderen objektiven Parameter. Subjektive milde Empfindungen waren Chlorgeschmack und vereinzeltes Halskratzen. Es traten keine toxischen Effekte auf und keine Diffusion der Substanz ins Blut.
Schlussfolgerungen: Inhalativ verabreichtes NCT ist sicher und wird sehr gut vertragen wie bei anderen Anwendungen in verschiedenen Körpergegenden. Unerwünschte Wirkungen sind mild, lokal und sehr kurzzeitig.
Mögliche Anwendungen: Die erfolgreiche Phase I Studie bei gesunden ProbandInnen ebnet den Weg für weitere klinische Studien zur Verträglichkeit und Wirksamkeit am Patienten. Vielversprechende Indikationen sind beispielsweise chronische Bronchitis und virale Bronchitis, woran Millionen Menschen leiden, und Mukoviszidose.“
Was wir im Moment denken
N-Chlortaurin ist eine vielversprechende, sehr günstig herstellbare Substanz – ein mildes Desinfektionsmittel sozusagen. Die Versprechungen klingen im Moment unglaublich, denkt man an die derzeitigen Realitäten in der Bekämpfung von Infekten. Der folgende Gedankengang drängt sich jedenfalls auf:
Bei N-Chlortaurin handelt es sich um eine körpereigene Substanz. Warum hat die Natur über einen Selektionsvorteil dann nicht selbst dafür gesorgt, Lungeninfekte damit sozusagen im Keim zu ersticken? Warum wurden also Lungeninfekte durch Bakterien/Viren/Pilze nicht ausgemendelt? Ist es vielleicht doch zellschädigend? Wirkt es vielleicht in der echten Lunge mit echtem (CF-)Schleim nicht? Gibt es vielleicht doch Resistenzmechanismen?
Im Erfolgsfall ließe sich eine Wertschöpfungskette für die Pharmaindustrie wohl nicht erschließen, sie muss sogar um einige existierende bangen. Es könnte sich um eine Substanz handeln, die nur öffentlich gefördert bestehen würde. N-Chlortaurin wurde durch die Entdecker bereits 2002 patentiert. Hier die Patentschrift.
Worauf sich der Leser verlassen darf
Unsere Neugierde wurde einmal mehr geweckt. Wir bleiben daher an der Sache dran, bis es zur Zulassung gekommen ist – oder es sich doch nicht bewährt hat.
Weitere Informationen
N-Chlortaurin (NCT) erfolgreich an 10 CF-Patient:innen mit Pilzen/Bakterien/Viren getestet
„Unsere Neugierde wurde einmal mehr geweckt. Wir bleiben daher an der Sache dran, bis es zur Zulassung gekommen ist – oder es sich doch nicht bewährt hat.“
Und, gibt es neue Erkenntnisse – ist ja schon 3 Jahre her und die Pandemie tobt weiter
ich bin zufällig letzte Woche auf einen Beitrag im Fernsehen gestoßen, aber der war ja dann auch schon aus 2018
Mich würde interessieren, ob es dazu tatsächlich Erfolge und nicht nur einen „Selbstversuch“ gibt.
[gekürzt]
Beste Grüße aus Dresden
Andreas Höber
Sehr geehrter Herr Höber,
ich habe Ihre Frage ein wenig gekürzt, da der letzte Teil kein Bezug mehr zum Artikel hatte.
Die Mühlen im Pharma-/Medizinprodukte-Bereich mahlen unerträglich langsam. Aus nicht zitierfähigen Quellen hören wir aber, dass es Fortschritte gibt. An unserer positiven Einschätzung von N-Chlortaurin (international N-Chlorotaurine) halten wir fest.
Vielleicht finden Sie folgende Meldung vom 17.05.2021 interessant, die Sie nach kostenloser Registrierung vollständig lesen können: https://www.tt.com/artikel/30791776/aussichtsreiches-covid-medikament-der-med-uni-innsbruck-auf-dem-weg
Alles Gute für Sie
Kai-Roland Heidenreich